Im Land der Dichter und Täuscher
Süddeutsche Zeitung vom 06.07.2010 2010-07-06 10:41:36
Das Geschäft mit der
Eitelkeit: Mit dubiosen Praktiken ködern sogenannte Zuschuss-Verlage literarische
Amateure. Dichterruhm zum Selbstkostenpreis.
Herr Petersen geht
seit Stunden von Messestand zu Messestand. Die Füße tun weh, die Beine werden
schwer. Aber das Manuskript in seiner Tasche will ihm niemand abnehmen. Keiner
von den geschäftigen Lektoren hat Zeit, ihm zuzuhören. Alle winken ab:
"Schicken Sie uns ein Exposé." Das hat Herr Petersen längst getan.
Zurück kamen nur Standardbriefe. Seine Memoiren, man bedaure, passten nicht ins
Verlagsprogramm. Manchmal gab es auch gar keine Begründung.
Herr
Petersen ist schon auf dem Weg zum Ausgang, als ihm eine junge Frau ein
Schälchen mit Konfekt reicht: "Greifen Sie zu." Die freundliche Dame
stellt sich als Lektorin des August-von-Goethe-Verlags vor. Und zu seiner
großen Überraschung erfährt Herr Petersen: Dieser Verlag sucht Autoren.
Stellwände und Plakate am riesigen Messestand verkünden es. Der Amateur-Autor lässt
seine Mappe und seine Visitenkarte am Stand, nimmt noch ein Stück Schokolade
und macht sich gut gelaunt auf den Heimweg.
Nichtssagende Floskeln
Nur Tage später erreicht ihn die
erhoffte Nachricht: Die "Lektorenkonferenz" habe "eine klare
Entscheidung" getroffen: Die Veröffentlichung seines Manuskripts werde
befürwortet! Herr Petersen greift sofort zum Telefonhörer. Er vereinbart einen
Termin im Verlag. Das Gutachten, das man ihm vorliest, ist voll des Lobes:
"Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, individuell gestaltet und
sehr authentisch.
Der Ton der Darstellung ist
(...)von hoher sprachlicher Qualität und der stilistische Reichtum der
einzelnen Episoden zielt auf eine breite Leserschaft. Aus diesem Grund haben
wir dieses Werk zur Veröffentlichung empfohlen." Was Herr Petersen noch
nicht weiß: das Manuskript, das die Lektorin des August-von-Goethe-Litera-
turverlags da anpreist, hat sie nicht gelesen. Das vermeintlich fachliche
Gutachten ist aus nichtssagenden Floskeln zusammengeschustert.
Warum aber sollte eine Lektorin
einem Autor einreden wollen, sein Manuskript, möglicherweise ein schlechtes, zu
veröffentlichen? Weil sie am Erfolg des Buches gar nicht interessiert ist. Der
August-von-Goethe-Verlag ist ein sogenannter Zuschussverlag. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass der Autor die Kosten für
Lektorat, Erstauflage und Vertrieb vorfinanziert. Der Termin, zu dem der Verlag
geladen hat, ist eine Farce.
"Auf der Suche nach den Glücksböhnchen"
Auf dem Tisch liegen drei
Verlagsangebote. Zwischen 6144 und 8736 Euro
soll der Autor, je nach Variante, zahlen, damit sein Werk in Druck geht. Die
Autoren, das sind Pensionäre, die wie Herr Petersen ihre Lebensgeschichte
aufgeschrieben haben; Frauen, die über Engel und Nahtoderfahrungen berichten;
oder Großväter, die ein Kinderbuch für ihre Enkel verfasst und
illustriert haben.
Ihre Bücher heißen "Eddie:
Erlebnisse eines Cocker Spaniels" oder "Auf der Suche nach den
Glücksböhnchen: Leben mit Brustkrebs". Verlegt wird so ziemlich alles,
solange der Autor die "Publikationskosten" aufbringt. Das Geld, so
suggeriert das Angebot, werde man wieder einnehmen. Der August-von-Goethe-Verlag
rechnet vor: Bei einer verkauften Auflage von 5000 Exemplaren betrage das
Autorenhonorar satte 16200 Euro.
Damit der Verkaufserfolg gelingen
kann, verspricht der Verlag, sich ordentlich ins Zeug zu legen. Das Werk werde
auf den Buchmessen in Frankfurt, Leipzig, Basel, Wien, London und, ja,
"evtl. New York" vorgestellt. Es sind "Anzeigen in der Zeit mit
Abbildung des Buches und evtl. Fotoportrait von Ihnen" möglich. Das alles
ist aber, gibt der Verlag zu, "aus Kostengründen nur teilweise zu
empfehlen". Denn die Kosten übernimmt auch hier der Autor.
Aber wem die Anzeige in der Zeit
zu teuer komme, der könne auf einen TV-Auftritt im "Deutschen Literaturfernsehen"
setzen. Das ist eine amateurhafte Internetseite, die 15-minütige Autoren-Clips
präsentiert. Kostenlos ist der Auftritt im "weltweiten Internet" nur,
wenn der Autor das Filmchen selbst aufnimmt. Wer sich beim Lesen filmen lässt,
muss 360 Euro "einmaligen Selbstkostenpreis" berappen. Das alles steht
nicht im Vertrag, sondern ist nur auf Nachfrage zu erfahren. Genau hinzuschauen
lohnt sich auch noch bei anderen Punkten des obskuren Verlagsangebots.
Das Deckblatt, das eine
Zusammenfassung der wichtigsten Vertragsinhalte enthält, vermerkt etwa die
Gesamtauflage des Titels sei "unbeschränkt". Tatsächlich ist aber
eine "rasch zu druckende Startauflage von z. B. 300 Stück"
vorgesehen. Das spare die "hohen Lagerkosten". Nachgedruckt wird erst
nach Abverkauf. Wer jetzt aber glaubt, wenigstens diese 300 Exemplare gehörten
dem Autor - er hat ja schließlich mehrere tausend Euro dafür bezahlt -, der
irrt. Der generöse Verlag gewährt dem Autor zwar einen Rabatt auf seine eigenen
Bücher von 50 Prozent, dafür bekommt er aber im "preisgünstigen
Vorzugsmodell" für die ersten tausend verkauften Exemplare überhaupt
kein Honorar.
Wer aber unterschreibt so einen
Vertrag? Tatsächlich erscheinen allein in der Frankfurter Verlagsgruppe, zu der
auch der August-von-Goethe-Verlag
gehört, nach eigenen Angaben jährlich über 300 Titel. Über die Jahre hat die
Gruppe von Pseudoverlagen 3000 Autoren geworben und Millionen umgesetzt. Und
damit der Verlag weiter Geld verdient, müssen ständig neue Autoren gefunden
werden. Zu diesem Zweck wird allerlei Aufwand betrieben.
Die Verlage der Gruppe haben sich
klangvolle Namen wie "Weimarer Schiller-Presse" oder "Fouqué
Verlag" gegeben. Außerdem wird mit dem Verlagssitz im Großen Hirschgraben
in Frankfurt geworben, der sich in direkter Nachbarschaft zum Goethe-Haus
befinde. Wer dann aber wie Herr Petersen um ein Treffen mit seinem Lektor
bittet, der wird ins benachbarte Offenbach geladen und findet über den
Hinterhof zum Klingelschild. Angeblich wurde das Lektorat aus Platzgründen
hierher ausgelagert.
Das Gutachten muss positiv ausfallen
Im Fenster des Backsteingebäudes
verkündet auch hier ein Plakat: "Verlag sucht Autoren". Im Flur wird
der angehende Autor gegenüber von einem Flipchart platziert, auf dem unter
"Heute zu Gast im Verlag" sein Name steht. Nach gebührender Wartezeit
wird er von einer Lektorin in den Konferenzsaal geführt. Dort erwarten ihn eine
Vertriebsmitarbeiterin und ein Jurist aus der Geschäftsleitung. Nur der Lektor,
der das Manuskript angeblich gelesen hat, der fehlt. Im Urlaub sei er, sagt
seine Vertretung, und versichert, sie sei mit dem Gutachten vertraut.
Ausgehändigt bekommt Herr Petersen das Loblied auf das eingesandte Manuskript
nicht. Für den Ausdruck fällt eine Gebühr an: 60 Euro.
"In zehn Minuten" habe
er solche immer gleichen Standardgutachten aufgesetzt, verrät ein ehemaliger
Mitarbeiter des Verlags. Die Vorgabe war klar: Das Gutachten muss positiv
ausfallen. Mit einem negativen Urteil würde der Pseudoverlag sich seine
Kundschaft abspenstig machen. An den Vertrag, den der Autor schon zugesandt
bekommen hat, ist eine Empfehlung des "Bund Deutscher Schriftsteller"
angeheftet, die bestätigt, der Bund habe "beigefügten Verlagsvertrag
geprüft und empfiehlt ihn ausdrücklich mit Verleihung
seines Qualitätssiegels".
Tatsächlich hat der Bund
Deutscher Schriftsteller nichts mit dem seriösen "Verband deutscher
Schriftsteller" zu tun. Sehr wohl ist er aber personell eng mit der
Frankfurter Verlagsgruppe verflochten. Wer glaubt, seine Hauptaufgabe bestehe
darin, das fragwürdige Geschäftsmodell der Gruppe zu bewerben und
Scheinzertifikate auszustellen, liegt vermutlich nicht ganz falsch.
In Wahrheit aber werden hier Lose
verkauft, für die es
keine Gewinne gibt. Lose, die
viel zu teuer sind. Und immer wieder finden sich Käufer. Die Verlagsgruppe hat
sich längst nicht nur einen Autorenbund geschaffen, sondern einen eigenen
Mikrokosmos in der Verlagsbranche. Da gibt es etwa die
"Brentano-Gesellschaft", die eine Literaturzeitschrift, literaturmarkt.info, unterhält, bei der Autoren gegen
eine "Redaktionsgebühr" (195 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer) die
Rezension zum eigenen Buch bestellen können. Außerdem mit den Verlagen
verbunden ist die "Cornelia Goethe Akademie", wo im Fernstudium das
Schreiben eingeübt werden kann. Der Kurs bei den "Akademielektoren"
mit zwölf Übungsheften kostet 1980 Euro.
Die Illusion
Und die Maskerade funktioniert
prächtig. Viele lassen sich von all den hochtrabenden Namen blenden. Im
Lektorat seien, so der ehemalige Verlagsmitarbeiter, sogar Briefe mit der
Anrede "Sehr geehrte Frau Cornelia Goethe" eingegangen. Tatsächlich
hat der Verlag natürlich ebenso wenig mit der Familie Goethe zu tun wie die
"Weimarer Schiller-Presse" mit dem gleichnamigen Dichter oder
der Stadt.
Zum Imponiergehabe der
Verlagsgesellschaft gehört, dass noch eine ganz andere Genealogie inszeniert
wird, die des Gründers des Zuschuss-Imperiums. "Altverleger" Markus
von Hänsel-Hohenhausen, der sich zuweilen auch "Donatus Prinz von
Hohenzollern" oder "Leopold von Emden" nennt, behauptet, er
führe den "historischen Dienst seiner Familie an der Literatur" fort.
Wer das bestreitet, wird verklagt. Über hundert Verfahren gegen Kritiker hat
der Pseudo-Verleger geführt. Seine Einwände gegen die Bezeichnung
"Pseudoverlag" und "nicht-adliger Namensträger" wurden von
den Gerichten zurückgewiesen.
Dem Geschäftsmodell selbst ist
juristisch aber nicht beizukommen. Denn den gebauchpinselten Möchtegern-Schriftstellern
wird ja nichts versprochen. "Gedichte verkaufen sich meistens keine 100000
Mal" hört der Anfänger im Gespräch. Das Geschäft mit der Eitelkeit brummt,
die Branche kennt die schwarzen Schafe auch als
"Vanity- Verlage".
Die
Brentano-Gesellschaft schreibt regelmäßig Literaturwettbewerbe aus, um Autoren
zu ködern. Für die "Frankfurter Bibliothek des Zeitgenössischen
Gedichts" etwa. Herausgeber ist Julius Graf von Hirschsprung. Auch das ist
ein Pseudonym des Pseudo-Verlegers von Hänsel-Hohenhausen. Im Jahr 2010 stehen
den Autoren mehrere Themen für ihre Einsendung zur Auswahl. Eines davon heißt
"Die Illusion".
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